Mein globalisiertes Kleid
Zum Abschied meines drei-monatigen Nicaraguaaufenthaltes schenkten mir meine zwei Gastgeberinnen ein bunt bedrucktes, Unisex Kleid. Petrol als die dominierende Farbe des Kleides gehört zu meinen liebsten.
Kurz vorher hatten die beiden mitbekommen, wie ich das Kleid auf einem Markt für lokales Kunsthandwerk bestaunte. Dass es in Nicaragua solch einen Stoffdruck geben sollte, erschien mir seltsam. Als eine von ihnen sich das Kleid kaufte, blickte ich neidisch. Eigentlich lehne ich einen zu sehr gefüllten Kleiderschrank aus verschiedenen Gründen ab, aber ….
So freute mich ihr Geschenk und ich zog glücklich mit dem Kleid im Rucksack meiner Wege, die mich nach Kolumbien führten. Ich war im Sabbatjahr und besuchte verschiedene lateinamerikanische Länder.
In der afrokolumbianischen Stadt am Meer, Tumaco, tauchte ich in ein Gemisch aus Tansania und Nicaragua ein. Trommelgesänge, Salsa, viele Kinder und Jugendliche, feuchte Hitze, Gewalt und Freundlichkeit. Meine Gastgeberin nahm mich auf eine mehrstündige wilde Bootsfahrt nach La Mosquera mit, einem Ort im Mangrovenwald, wo ein dreitägiges Patronatsfest gefeiert werden sollte. Sozusagen am Ende der Welt – denn Autos oder Flugzeuge kommen dort nicht hin – feierten wir morgens um 7 Uhr mit dem Priester die Messe zum Fest. Eine kleine lebendige Musikgruppe leitete den Gesang. Die Sängerin, eine Frau im besten Alter (so um die 50), trug ein knallrotes Kleid. Bei näherem Hinsehen entdeckte ich das gleiche Muster wie bei meinem petrolfarbenen. Ihr stand es gut.
Also, mein Kleid stammte nicht aus Nicaragua, allerdings auch nicht aus Kolumbien.
Das nächste überraschende Wiedersehen mit meinem Kleid war im Chaco, einer riesigen Trockensavanne in Paraguay und Argentinien. Dort leben trotz Vertreibung noch einige UreinwohnerInnen, Guarani, Kaiowa und Ayoreo. Einmal zur Karnevalszeit feiert das kleine Dorf Santa Teresita
ein großes Fest. Drei Tage tanzen alle zur Flöten- und Trommelmusik. Der Zusammenhalt der indigenen Völker wird gestärkt. TouristInnen sind jedoch auch gern gesehen. Alt und Jung, Indigen und Weiß, Frauen und Männer, alle tanzten zusammen. Darunter eine sehr beleibte, ältere Frau mit „meinem Kleid“ – auch in rot.
Mittlerweile dachte ich, das auf „indianisch gemachte“ Muster des Kleides wurde in einem US-Büro entworfen und in einer Maquila in Mittelamerika genäht….
Nach einigen Reisemonaten kam ich zurück nach Hause, nach Hamburg. Bald besuchte ich meine kongolesische Freundin, die hier seit acht Jahren lebt. Und siehe da, auch sie trug „mein Kleid“. „Woher hast du das denn?“, fragte ich. „Das wurde mir im Kongo geschenkt.“
Mmh. Doch nicht aus den USA und Mittelamerika?
Kurz darauf saß ich beim Italiener – einem Restaurant vor meiner Tür – und sah am Nachbartisch eine Touristin speisen. Sie trug ein großes gemustertes Kleid in weiß. Ja, mein Kleid!
Ich bin also Teil einer weltweiten Frauengemeinschaft, die solch bunte, bedruckte Unisex Kleider mag.
Juli 2020